
Die Geschichte einer Geburt, einer Hausgeburt, oder besser gesagt, einer Stallgeburt, die unter schwierigen Umständen stattfindet. Hebamme, Arzt, sterile Geräte, saubere Tücher spielen in dieser Geschichte keine Rolle. Die äußeren Umstände sind minimalistisch. Eine Krippe als Bett, ein Ochse als Heizung, ein Stall als Wohnung. Und nur die drei, um die es geht: Jesus, Maria, Josef. Die kleinste Einheit einer Familie. Auch minimalistisch. Eine Geburt ist zu jedem Zeitpunkt eine Herausforderung für das Baby und die Eltern. In unserer Weihnachtsgeschichte fordern die Umstände Josef und Maria besonders heraus. Nach einer langen Reise, zu Fuß und auf dem Esel, erreichen sie ein völlig überfülltes Bethlehem. Die hochschwangere Maria und Josef sind vermutlich heilfroh, dass sie wenigstens den Stall angeboten bekommen.
Und prompt setzt die Geburt ein. Wie das abgelaufen ist, darüber können wir nur spekulieren. Josef und Maria erleben diese schwierige, nicht alltägliche Situation, gemeinsam. Vielleicht verläuft die Geburt und die Nacht ziemlich turbulent. Darüber erfahren wir nichts aus der Bibel. Josef und Maria vertrauen sich dem Prozess des Lebens an und vertrauen darauf, dass alles gut wird. Dass Gott sie beschützen wird. Alles dreht sich in diesen Momenten um das kleine, schutzbedürftige Kind. Wie in den meisten Familien wird das neugeborene Kind zum Mittelpunkt. Und dieses zu einem ganz besonderen Mittelpunkt. Zum Dreh- und Angelpunkt einer 2000-jährigen Tradition von Millionen Christen und Christinnen. Wie kann aus einer Geburt in einem Stall der Beginn eine der einflussreichsten Bewegungen der Weltgeschichte werden? Wie kann es sein, dass sich in unserer westlichen Welt, 2000 Jahre nach einer aufregenden Nacht in Bethlehem, der gesamte Dezember um dieses Ereignis dreht? Gut, es geht heutzutage oftmals nicht mehr um das ursprüngliche Geschehen, sondern um ein aus meiner Sicht völlig verdrehtes, aufgeblasenes Event. Wie es zu dieser Perversion gekommen ist? Auch das hängt mit der Antwort auf die oben gestellten Fragen zusammen. Das beschreibe ich ein anderes Mal, wenn ich mich näher mit der Sehnsucht und der Sucht beschäftige.
Klar, mag man jetzt sagen, die Antwort ist doch einfach: Das war die Geburt des Gottessohns, das ist doch auf jeden Fall etwas Besonderes. Ja, das stimmt schon. Warum berührt Weihnachten so viele Menschen, die nicht mehr an Gott glauben? In dieser Nacht ist es erstmal einfach die Geburt eines Kindes. Vater, Mutter, Kind, Ochse, Esel, Stall. Die äußeren Umstände sind auf das notwendigste reduziert und erlauben einen Blick auf das wirklich Wichtige:
Die Liebe. Es ist die Liebe, mit der die Mutter, in diesem Fall eine sehr junge Mutter, ihr Kind nährt. An der Brust und mit ihrem Herzen. Es ist die Liebe Josefs, der sorgt, beschützt, behütet, geborgen hält. Die Liebe, die Kinder gedeihen und im Mutterleib wachsen lässt. Wenn Eltern ihr Kind zum ersten Mal sehen, berühren, halten, dann explodiert diese Liebe.
Im 1. Johannesbrief heißt es in Kapt. 4,16 : „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“. Wenn Gott Liebe ist, dann ist das Göttliche immer da gegenwärtig, wo die Liebe ist. Und so scheint die Liebe, das Göttliche, durch dieses Geschehen. In dem Kind vereint sich die Güte Gottes, die Liebe einer Mutter und eines Vaters.
Nach der Geburt kommen Hirten. Zunächst voller Angst und Furcht, weil sie die Situation nicht einordnen können. Ein helles Licht, ein Stern mitten in der Nacht strahlt über einen Stall. In einer Zeit, in der es nur Öllampen und Feuerstellen gibt, verstört so viel nächtliche Helligkeit. So fürchten sich die Hirten zunächst, bis sie auf das Kind blicken.
Wir erleben es selbst immer wieder: Wer schenkt einem Baby, einem Kind nicht direkt ein Lächeln, wenn er/sie es sieht? Kinder, Babys verzaubern uns. Sie lösen in uns etwas so Starkes und Nachhaltiges aus, wie es kein noch so großer Reichtum oder Erfolg tun könnte. Ein Blick auf die Weihnachtsgeschichte öffnet uns in ganz konzentrierter Form einen Blick auf unsere größten Wünsche und Sehnsüchte: Liebe und Geborgenheit. Jeder Mensch möchte sich so seinem Sein angenommen und geliebt fühlen. Um dieses zentrale Bedürfnis dreht sich unser Leben, unser Eifer, unser Tun.
Die Weihnachtsgeschichte fasst in einfacher und prägnanter Form zusammen, wofür der Mensch lebt, wonach er strebt und was er von seinen Mitmenschen und von Gott ersehnt und erhofft. Die Geschichte zeigt uns, worauf es ankommt und das lässt uns seit 2000 Jahren nicht mehr los. Die Menschheit treibt es bestimmt schon viel länger an. Wir Christen haben dieses Sehnen in dem Neuen Testament verbildlicht. Gott sandte Jesus zu den Menschen aus Liebe. Das ist eine der Kernbotschaften des christlichen Glaubens. Gott ist Liebe. Genau. Nur: Heute leben wir nicht mehr in einem Stall und auch nicht in kleinen Gemeinschaften. Und haben deshalb vielleicht aus dem Blick verloren, worauf es ankommt und wie einfach es sein kann: Sich jemandem zu öffnen, ein Lächeln zu schenken, jemanden umarmen, festhalten, liebevoll zu betrachten oder liebevoll zu bedenken. Wir alle tragen die gleiche Sehnsucht in uns. Und ein Blick auf die Weihnachtsgeschichte zeigt uns den Weg dorthin. Liebe. Wer liebt und Liebe gibt, wer sich mit seinen Ängsten öffnen und verletzbar machen kann, der erkennt Gott. Denn Gott ist Liebe. Und wer diesen Schritt geht, der braucht auch keine blinkende Dekoration oder teure Geschenke. Dann reicht der Blick auf die Liebe. Auf die Menschen, die man liebt. So, wie damals, vor 2000 Jahren, als Josef und Maria auf ihr Baby in der Krippe blickten.